Interview mit Yoga Aktuell

Tsakpo Rinpoche, eingeweiht in den tibetisch-tantrischen Weg zur Selbsterkenntnis, sprach mit YOGA AKTUELL über Glücklichsein als einziges Ziel des menschlichen Daseins, über die Kunst, auch mitten im Alltag ganz bei sich selbst zu sein, und über die angenehmen Folgen der Selbstfindung.

Tsakpo Rinpoche zeigt den Weg der Selbstfindung. Die Werkzeuge dieses Weges sind in den eigenen tiefen Erkenntnissen verankert. In seiner unverwechselbaren Art führt Tsakpo in die Tiefen des Seins, individuell, persönlich und direkt. Seine Lehren und Methoden sind spontan und sehr inspirierend. Viele Hatha-Yogis sind seine Schüler. Tsakpos Lehre führt in die Welt des tieferen Yoga, wie er in der moderneren Yogawelt selten vermittelt wird. Übers Jahr widmet sich der gebürtige Athener, der im Alter von 35 Jahren in Nepal vom 16. Karmapa in den tibetisch-tantrischen Weg eingeweiht wurde, der Einzel- und Gruppenarbeit mit seinen Schülern. Nach Stationen in Deutschland, Indien und Hawaii lebt der als erleuchtet geltende Lehrer heute in Frankreich. Isabel Strohschein sprach für YOGA AKTUELL im Rahmen eines Wochenend-Workshops in Köln mit Tsakpo Rinpoche über Selbstfindung, Yoga und Glück.

YOGA AKTUELL: Wie arbeitest du mit Menschen?

Tsakpo Rinpoche: Ich führe jeden, der zu mir kommt, auf den Weg der Selbstfindung. Zuallererst muss einer den Kontakt zu sich selbst herstellen und diesen Kontakt im Alltag anwenden.

Selbsterkenntniss und Alltag – wie passt das zusammen?

Jedes Erkennen muss im täglichen Leben umsetzbar sein. Sonst bleibt es nur theoretisches Wissen. Erkenntnisse und Alltag bilden zusammen den Stoff, der unsere aktuellen Fähigkeiten und Qualitäten ausweist.

Warum ist es für uns so schwer, mit unserem Selbst in Kontakt zu sein?

Weil man ständig in Kontakt mit der Außenwelt ist. Die so genannte Innenwelt bleibt fast für jeden ein fremdes, dunkles, undefinierbares Gebiet. Auch diejenigen, die durch Bewusstseinsarbeit die Gebiete der Innenwelt erforschen – dem so genannten Selbst näherkommen –, haben Mühe, neue Errungenschaften und Einsichten in ihr tägliches Denken und Handeln einzubauen. Der Kontakt zu sich selbst im Alltag bleibt unbefriedigend. Die Welt draußen nagt an der wahren Natur des Einzelnen, diktiert den Umgang mitein­ander, verfremdet die eigenen Impulse durch alle möglichen Gebote und Verbote.

Und das entfernt uns von unserem Selbst?

Das könnte man so ausdrücken. Aber zugleich dient es uns vielfach, indem uns bewusst wird, dass wir nicht wirklich das leben, was wir zu sein glauben. Eine Art Sehnsucht rührt sich in uns.

Wie beschreibst du diese Sehnsucht, und was macht sie mit uns?

Es ist die Sehnsucht nach Erfüllung. Man kann vieles erreichen und immer noch ein unerfüllter Mensch bleiben. Der hetzt dann weiter hinter dem Unerreichten her. So verfehlt er mit Sicherheit das Ziel der menschlichen Existenz: glücklich zu sein. Das ist das einzige Ziel, das ein Mensch hat. Es ist gleich, wonach er strebt: ob nach Reichtum, Ruhm, Erfolg, Macht, Zuneigung, Wonne, Wissen … Er tut das alles, um glücklich zu werden. Glücklich zu sein, ist wahrhaftig das einzige Ziel des Menschen auf Erden.



Wenn der Alltag, in dem wir unsere Gesellschaftsfähigkeit ja brauchen, zum Gegenstand der Selbstfindung werden soll, wie finden wir dann die Göttlichkeit und das Glück darin? Das hört sich nach einer großen Herausforderung an.

Selbstfindung kann nur im Alltag verwirklicht werden. Jeder Tag ist ein guter Tag dafür. Dein Selbst zu finden, heißt, den Tag zu finden, heißt, die anderen finden, heißt, den Frieden finden. Selbstfindung ist die Herausforderung, ein wahrer Mensch zu sein. Das ist ein Weg, der sich lohnt.

Was gibt es da zu entdecken?

Zuallererst entdeckst du das Unbekannte in dir. Den Teil, den du nicht kennst, womöglich noch nie geahnt hast. Die schlummernden Qualitäten in dir, den wahren Schatz des Menschseins. Wir kennen nur das Äußere, das in der Welt klarkommen muss. Aber auf dem Weg kommen wir Stück für Stück dem auf die Spur, was ein ganzer Mensch ist.

Was ist ein Mensch für dich?
Für mich ist ein Mensch ein Teil des Universums. Eine perfekte, strahlende Wesenheit. Ein unfehlbares Instrument im kosmischen Plan. Ein Zeugnis der göttlichen Präsenz auf Erden. Ja, das Göttliche selbst.

Wenn das so ist, warum können wir nicht gleich befreit und glücklich sein?

Jeder Mensch fühlt sich immer wieder frei. Auch das Glück ist zeitweise zu genießen. Aber alle beide kommen und gehen. Das Sehnen danach geht wieder los.

Und warum können wir das Glück nicht halten?

Weil jeder Mensch getrennt von seinem Selbst lebt. Das Glück kann nur in Einheit entstehen und bestehen. Wenn du einig mit dir selbst bist, ist das Glück gleich da. Bleibst du einig mit dir, blüht das Glück und gedeiht. Das Glück können wir nicht bekommen, wir können es nur in uns finden. Wenn wir es haben, müssen wir es ständig mit uns tragen. So gedeiht das Glück weiter, trägt Blüten und Früchte für dich und für andere.

Was verändert sich, wenn ich auf den Weg der Selbsterkenntnis und Selbstfindung gehe?

Du fängst an, dich zu schätzen. Du öffnest dein Herz für dich selbst. Du schaust nicht mehr draußen nach Vorbildern, du bist dein eigenes Vorbild. Du lernst, dich bei der Hand zu nehmen. Dir in die Augen zu schauen. Den Geruch deiner Achseln zu mögen. Du fängst an, dich zu lieben – so, wie du gerade bist.

Tief in die Meditation einzutauchen, verbinden viele Menschen mit Verzicht und Rückzug. Da ist eine große Angst, etwas zu verpassen, sich zu sehr zu verändern.

Tiefe Meditation bringt Frieden, Zufriedensein und Freude. Du lernst, dich selbst in Ruhe zu lassen, Verständnis für dich und für andere zu entwickeln, innere und äußere Konflikte zu lösen. Du lernst auch, auf ständige Selbstkritik, auf Nörgeln, Rechthaberei, Arroganz und Ähnliches zu verzichten. Was es wirklich zu verändern gilt, kann ein meditativer Mensch rasch und schmerzfrei verändern.

Eines deiner Themen auf der 10. Yoga Conference in Köln lautete „Das neue Yogitum“. Welche Botschaft war dir dort, wo so viele moderne Richtungen zusammenfinden, wichtig?

Vor allem, dass Hatha-Yoga ein Schritt zur Selbsterkenntnis ist. Jedes einzelne Asana kann die körperlichen und geistigen Schwingungen in Einklang bringen und ein freudiges Gefühl herstellen. Durch das tägliche Üben ist der Hatha-Yogi bald in der Lage, seine körperliche Kraft zu potenzieren und seinen Geist zu läutern. Mit der Zeit wird es offensichtlich, dass seine „Mattenarbeit“ einen zentralen Platz in seinem Leben eingenommen hat. Damit ist aber der Punkt erreicht, von wo aus der Yogi oder die Yogini die weite Ebene des Yogitums erblicken kann. Da ist man schon bereit für Meditation und Innenschau.

Was sollen die Hatha-Yogis mit diesem großen Boom machen? Denn es geht schon los: Die einen sagen: „Wir machen den echten Yoga, wir sind spirituell.“ Andere sagen: „Ihr seid zu spirituell, wir konzentrieren uns auf den Körper.“ Worauf sollten die Lehrer, die den Ton angeben, achten?

Wer andere belehrt, beispielsweise im Hatha-Yoga, sollte sich mit sich selbst auseinandersetzen, nach innen gehen, mit Meditation arbeiten. Meditation und Yoga sind synonym. Alle Wege des Yoga – Hatha-, Bhakti-, Karma-, Raja- und Jnana-Yoga – benötigen die Innenschau, die Meditation für ihre Vollendung. Wenn einer seinen Yoga mit Herzblut übt und lehrt, dann ist es wichtig, dass er die Schätze und die Möglichkeiten entdeckt, die in ihm liegen. Da musst du halt ein bisschen neugierig sein. Ich empfehle jedem: Schau in dich hinein. Denn Yogis sind auch Menschen. Da geht es gleich los mit „meins“ und „deins“ und mit Copyrights. Lasst das doch mal. Es gibt genug Yoga für alle, es muss keiner besser sein als der andere. Yoga wird sich weiter verbreiten, und das ist keine Epidemie. Klar, es gibt Modetrends und Leute, die sagen: „Das habe ich erfunden!“ Aber der Yoga ist zu alt und zu vollständig, als dass da irgendeiner was erfinden müsste.